Heute vor 10 Jahren: Grafen am Rande des Nervenzusammenbruchs

nach einer wahren Begebenheit – ein Gesprächsprotokoll des Edlen da Vinci (Erstveröffentlichung am 16.09.2013)

„…kein Stein steht mehr auf dem anderen…“

Ich treffe einen völlig aufgelösten Grafen in seiner Spätsommerresidenz auf Deutsch 10. Er hat seine Burgen respektvoll nach historischen Persönlichkeiten der Ritterwelt benannt und nimmt den Mittagsespresso auf „Steve v. Gnandstein“ ein. Er ist gezeichnet von den Spuren der letzten Nacht, die schmalen aristokratischen Finger gleiten nervös über den elfenbeinernen Mokkalöffel. Ein ungeheuerlicher Vorfall riss ihn mitten in der Nacht aus dem geliebten Schachspiel mit Reimwart Goethe: Auf Deutsch 7 wurden v i e r (in Zahlen 4) seiner liebsten Burgen barbarischen Angriffen ausgesetzt.
„Wer räumt das jetzt wieder auf? Die schönen Schrumpfköpfe von Don Ivano kullern im Hof herum; kein Stein steht mehr auf dem anderen…“
Ich frage nach, ob er diesen Angriff auf die Pressefreiheit nicht in einem seiner gefürchteten Artikel anprangern will – er winkt erschöpft ab.
„Das bringt mir meine Lieblingsburg „Herbstbund“ auch nicht wieder zurück! Gerade in dieser Jahreszeit ist es dort am Schönsten! Erst diesen Monat hat das Burgfräulein einen entzückenden Folterkeller einbauen lassen. Der letzte Schrei in Spanien! Und jetzt hausen dort irgendwelche Wilden! Ich hätte nie nach Deutsch 7 gehen sollen!“…

„…werden sogar die  Zwergenbündnisse immer dreister…“

Mit dieser Welt hatte sich der Graf nie so recht anfreunden können: eine öde, karge Landschaft, so ungeschliffen wie ihre  Bewohner:  Allen voran Muro, der große Barbar mit dem kleinen Wortschatz, der ständig mit Hunderten von Ochsenkarren durch die Gegend zog und für jeden eine Beleidigung parat hatte. Aber es gab auch Lichtblicke: Lady Miluvi, eine der wenigen, die des Lesen wie des Schreibens mächtig war, die Briefwechsel mit Phin, einem Kenner der mittelalterlichen Literatur oder die spontanen Ausritte mit dem lustigen King Ghosti, der in seinem Übermut gern mal Freund- mit Feinburgen verwechselte, nun  aber schon seit langem in freundlichere Gefilde verschwunden war.
„Damals hatte man noch Respekt vor dem geschriebenen Wort“, murmelte Graf Augstein finster  „Seit diese Welt in Barbarei versinkt, werden sogar die Zwergenbündnisse immer dreister!“

„… nennt seinen Balg Flitzer…

Bei meinen Nachforschungen über den Clan, der sich stilsicher „Heroic Sense“ nennt, tappe ich bisher im Dunkeln. Ausser dass sie offenkundig Analphabeten sind und sich deshalb keinen Profiltext leisten können, lässt sich nichts über sie in Erfahrung bringen.  „Erstaunlich, dass sie ihre ulkigen Namen in eine schriftliche Form bringen konnten“, versuche ich vorsichtig, den Grafen zu erheitern. “ „Das sind doch nicht ihre Echten!“ poltert der zurück, „die Namen dieser Sumpfbewohner kann man weder schreiben noch aussprechen. Die hier haben ihnen umherziehende Schreiberlinge für einen Wucherpreis verschachert! Welcher anständige Ritter nennt seinen Balg Flitzer?!“

„…wie diese Wilden hausen…“

Mir wird klar, dass in dieser Laune mit dem Grafen heute nichts anzufangen ist und beschließe aufzubrechen und weiter an meinen mechanischen Studien zu arbeiten.  Als mich erhebe und den Blick ins Tal schweifen lasse, fällt mir plötzlich eine entzückende kleine Burg beim Ahornwäldchen auf, die gestern noch nicht die Flagge des Grafen trug. Davor herrscht reges Treiben; Dutzende von Ochsenkarren fahren Möbel, Weinfässer und allerlei Krimskrams über die Zugbrücke hinein. Als ich mich fragend zum Grafen umdrehe, huscht doch noch so etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht: „Die hatte eine neue Einrichtung dringend nötig. Man glaubt ja nicht, wie diese Wilden hausen. Und als Ersatz für „Herbstbund“ ist die Burg gar nicht mal so übel!“

Hinterlasse einen Kommentar